Matthias Büchse am 17. Oktober 2022
Das wird jetzt keine Dissertation, sondern eine kleine Zusammenstellung einiger Schlaglichter. Bei Interesse an Details einfach in die genannten Quellen einsteigen.
Wir müssen ein System, das im Laufe von 170 Jahren gewachsen ist, binnen 10 bis 20 Jahren dekarbonisieren, und je später wir ernsthaft anfangen, desto weniger Zeit bleibt. (Quelle). Gleichzeitig müssen wir Artenschutz betreiben, da der Biodiversitätsverlust ähnlich bedrohlich ist wie der Klimawandel (Quelle (pdf)), und wir müssen was gegen den Verlust von Mutterboden tun (Quelle).
In 30 Jahren internationaler Klimapolitik, in denen unzählige Organisationen gegründet, Gipfel ausgerichtet und einigermaßen redundante Berichte veröffentlicht wurden, sind nicht nur die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre immer weiter gestiegen, sondern sogar die jährlichen Emissionen: Keine bisherige Maßnahme war stark genug, wenigstens die Emissionen zu verlangsamen. Ausnahmen sind allein Wirtschaftskrisen (Quelle/Infografik). Derweile waren die neun Jahre von 2013 bis 2021 unter den zehn wärmsten je gemessenen. (Quelle)
Das Entkoppeln von Ressourcenverbrauch/Emissionen einerseits und Wachstum andererseits ist ein frommer Wunsch; jegliche Hoffnung darauf ist wohlgemerkt unberechtigt, da alle Effizienzgewinne irgendwann vom Rebound-Effekt mehr als ausgeglichen werden. (Quelle)
Was wir also tatsächlich brauchen, ist eine schrumpfende Weltwirtschaft; allein schon das Wort Schrumpfung ist allerdings politisch tabu. Also werden weiterhin nur symbolische Maßnahmen ergriffen, die die Emissionen nicht verlangsamen – Insektenhotels, Blühstreifen, Verbot von Plastiktüten etc.
Erneuerbare Energien sind erheblich teurer (sprich: weniger effizient) als fossile, und wir müssten entweder so viele Kraftwerke bauen, dass allein der Ressourceneinsatz wiederum unsere Lebensgrundlagen erheblich beschädigt, oder wir müssten mit erheblich weniger Energie auskommen (d.h., mit einer schrumpfenden Wirtschaft). (Quelle) Beides erscheint nach gängigen Maßstäben unattraktiv.
In jedem Fall wird die Transformation teuer (von notwendigen Maßnahmen zur Anpassung an zunehmende Natureignisse gar nicht zu reden); dabei stecken wir momentan aufgrund der Inflation und den Energiepreisdeckeln finanziell ziemlich in der Klemme. (Quelle: a.a.O.)
Wenn ein Teil der Welt die Nachfrage nach Fossilen drosselt, sinkt deren Preis. Dann aber kauft der restliche Teil der Welt umso mehr, so dass unterm Strich nicht weniger emittiert wird. Folglich müssen alle die Nachfrage drosseln, sich also einigen und auch daran halten (sprich: auf billiges Benzin verzichten, sprich: auf Wirtschaftswachstum verzichten).
Seit den Ölkrisen der 70er stand immer wieder im Raum, sich von Fossilen unabhängig zu machen, oder vielmehr von den Lieferanten. Gier war aber immer stärker als Vorsicht, insbesondere in Deutschland. Auch jetzt wird vorrangig Autokraten-Erdgas durch Autokraten-Flüssiggas ersetzt (was nebenbei erheblich klimaschädlicher und teurer ist, zum Verbrennen eigentlich zu schade); zwar könne man die neue Infrastruktur später für “Grünen Wasserstoff” nutzen, doch dieses Narrativ ist fadenscheinig, solange man langfristige Lieferverträge abschließt und den Umstieg auf Wasserstoff nicht verbindlich festschreibt.
Allein das US-amerikanische Militär emittiert mehr als ganz Schweden (Quelle); es gibt also keine Transformation ohne Abrüstung, und die erscheint – gerade in Zeiten aufstrebender Mächte wie China – doch höchst unwahrscheinlich.
Das Klimasystem ist unglaublich träge. Wenn wir das Ausmaß unseres Handelns lediglich am Ausmaß aktueller Ereignisse orientieren, werden wir irreversible Veränderung in Richtung unbewohnbare Erde nicht verhindern. (Das ist in Klimakreisen eine Binse, aber für eine Quelle wäre ich dankbar.)
Gerade von klimabedingten Natureignissen Betroffene verdrängen den Klimawandel. (Quelle: George Marshall, Don't even think about it, Bloomsbury, 2014, S. 5)
Kognitive Dissonanz – die Leute ergeben sich eher in Fatalismus, unbegründete Hoffnung oder schlicht Leugnung. Fallbeispiel: Das Austrocknen des Aralsees. (Näheres zum Aralsee-Beispiel)
Es hat uns bislang kaum interessiert, dass für unseren Wohlstand irgendwo auf der Welt Menschen (auch Kinder) wie Sklav*innen arbeiten, oder dass ihr Land geraubt, geplündert und zerstört wird. Der Klimawandel trifft zuvorderst andere, oder zumindest glauben wir das. Warum also sollten wir den Klimawandel nicht ebenso ignorieren wie die ganzen anderen Schweinereien?
Es gibt kollektive Traumata (nicht zuletzt aufgrund über Jahrhunderte internalisierter menschenfeindlicher Ideologien, also Rassismus und Klassismus), die die Leute betäuben und vom Handeln abhalten. (Quelle)
Ähnliches Argument: Zeigt die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Umweltverschmutzung nicht, dass die Qualität des Lebens so wenig befriedigend ist, dass wir reagieren, als sei es nicht wert, darum zu kämpfen?
. (Zitat von Harold Searles, zitiert in dieser Quelle.)
Aber auch für ein Leben in mehr Lebendigkeit müsste wohl der Kapitalismus gehen, oder wenigstens unser moralinsaures Arbeitsethos, der Zwang zur Erwerbsarbeit und die Kulturindustrie. Und dann ist die Frage, wie viele Leute das wollen, und wie viele lieber in autoritären Ideologien Zuflucht suchen (Stichwort Furcht vor der Freiheit, siehe das gleichnamige Buch von Erich Fromm).
Der menschengemachte Klimawandel ist ein wicked problem: sowohl multivalent (d.h., schwer fassbar und offen für Interpretation) als auch unheimlich (da Wetterereignisse und unser Lebensstil zunächst zwei sehr vertraute Phänomene sind, die nun eine ganz neue, bedrohliche Bedeutung bekommen).
Probleme dieser Art sind so komplex, dass sich nicht mal sagen lässt, worin sie eigentlich genau bestehen, und deshalb haben sie keine Lösung vom Reißbrett, sondern müssen laufend neu beurteilt und definiert werden. (Quelle: wieder Don't even think about it, S. 94, 95)
Es gibt keinen Gegner, außer uns selbst; wir sind alle Komplizen: We've met the enemy, and he is us.
Hier noch ein paar prominente Stimmen (appeal to authority):
Daniel Kahnemann, der den Nobelpreis für seine Theorien zum menschlichen Verhalten bekam, sagt klar, dass er schwer pessimistisch ist: I really see no path to success on climate change.
(Quelle: wieder Don't even think about it, S. 56)
Der Klimawissenschaftler Will Steffen stimmt zu: Given the momentum in both the Earth and human systems, and the growing difference between the ‘reaction time’ needed to steer humanity towards a more sustainable future, and the ‘intervention time’ left to avert a range of catastrophes in both the physical climate system (e.g., melting of Arctic sea ice) and the biosphere (e.g., loss of the Great Barrier Reef), we are already deep into the trajectory towards collapse.
(Quelle)
Jonathan Franzen hat es schon 2019 in einem Aufsatz im New Yorker gesagt: The climate apocalypse is coming. To prepare for it, we need to admit that we can’t prevent it.
Damals hab ich es noch nicht geglaubt. Dabei war das obige Zitat von Kahnemann sogar noch fünf Jahre früher. (Quelle)
Im National Geographic konnte man 2020 etwas Ähnliches lesen: Why we won't avoid a climate catastrophe
. (Quelle)